Pleroma

Das Pleroma (griechisch, πλήρωμα pléroma „Fülle“) ist bei den Gnostikern das Glanz- und Lichtmeer, als Sitz der Gottheit, von wo alles Gute ausströmt. Sehr ähnliche Vorstellungen finden sich unter anderen Begrifflichkeiten im Tengrismus.[1]

Im Johannes-Evangelium Joh 1,16  ist geschrieben: „Und von seiner Fülle (übersetzt altgriechisch πληρωματος pleromatos) haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“

Bei dem Gnostiker Valentinus ist Pleroma das Reich göttlich-geistiger Fülle, Lebendigkeit, die kraftdurchwirkte Seinswelt im Gegensatz zum Kenoma, der stofflichen Leere. Der ursprünglich christliche Valentinus habe, so Martin R. von Ostheim (2013)[2] den Begriff von dem Redaktor des vierten Evangeliums übernommen.

Aus der Schrift adversus haereses des Irenäus von Lyon und aus dem Apokryphon des Apostel Johannes geht hervor, dass Plerom von den Gnostikern auch als die Fülle der Zeit angesehen wurde und somit gleichbedeutend ist mit Aion, als Transliteration des griechischen Wortes altgriechisch αἰών für Ewigkeit (vergleiche Äon (Philosophie)). Der Gnostiker fühlte sich unbehaglich auf dieser Welt. Die zeitliche Begrenztheit seines Lebens durch den Tod empfand er als Herausforderung, diese Zeit als Verhängnis aufzufassen.[3][4]

Nach Gershom Scholem ist in der Kabbala die Thronwelt der Hechalot die Entsprechung zum Pleroma. Erich Neumann fasst den Begriff Pleroma als die göttliche Fülle in seinem „vorweltlichen“ Zustand auf. Der „eigentliche Zustand der Welt“ sei eben durch dieses Noch-nicht-Eintreten Gottes bedingt. Die angestrebte Verbindung zu dieser göttlichen Fülle sei nur auf mystischem Wege zu erzielen.[5]

In der Sammlung der Schriften des Neuen Testaments beschreibt der Apostel Paulus in Gal 4,4  den zeitenwendenden Augenblick mit altgriechisch πλήρωμα του χρόνου. Diese Wendung ist einzigartig, bezeichnet πλήρωμα bei Paulus sonst „Fülle“ als „Vollzahl“ der Völker in Röm 11,25 . Ihre nächste Entsprechung findet sich in Eph 1,10  το πλήρωμα των καιρων. Das hier benutzte καιρος, das an sich schon einen Zeitpunkt bezeichnet, erscheint hier im Plural und bezeichnet so – sachlich identisch mit Gal 4,4 – das „Vollgewordensein der Zeit“.

In der jüdischen Apokalyptik wird das Motiv von Gott als dem Herrn über die (Jahres-)Zeiten auf das Ende dieser Zeit übertragen: „Gott wird die vergängliche Welt wie auch die Unterwelt versiegeln“ (vgl. 4. Esra 6,20; syrBar 21,23; 40,3), nachdem er die Zeiten und ihre Zahl gezählt hat, um den neuen Äon hereinbrechen zu lassen, welcher einen Triumph des Gottesvolkes über die es bedrückenden Fremdherrscher bedeutet.[6]

Paulus überbietet mit seiner Formulierung πλήρωμα του χρόνου das jüdisch-apokalyptische Verständnis: πλήρωμα beschreibt das „Vollmaß der Zeit“ „nicht ihrer Ausdehnung, sondern ihrem Inhalt nach“[7]. Das bedeutet aber, dass die Zeit nicht aufgehoben wird. Kein neuer Äon schließt sich einfach an den alten an, sondern Gottes Heilshandeln hat sich in der Geschichte vollzogen, ohne aber in einem nur rein geschichtlichen Moment, den der „historische Jesus“ ausfüllen würde, aufzugehen. Vielmehr wird ein neuer Zeitbegriff geschaffen, der unserer Zeit die von Gott neu geschaffene Offenbarungs-Zeit qualitativ gegenüberstellt. In ihr ist Gott für uns in Christus Jesus gegenwärtig: Deus praesens.[8]

  1. Meyers Lexikon
  2. Martin R. von Ostheim: Selbsterlösung durch Erkenntnis. Die Gnosis im 2. Jahrhundert n. Chr. Schwabe, Basel 2013, ISBN 978-3-7965-2894-1, S. 22
  3. Wolfgang Schultz: Dokumente der Gnosis. Mit Essays von Georges Bataille und Henri-Charles Puech. Bechtermünz, Augsburg 2000, ISBN 3-8289-4839-1, S. 28, 33
  4. Irenäus von Lyon: Adversus haereses. I, 17, 2
  5. Erich Neumann: Tiefenpsychologie und neue Ethik. (Reihe Geist und Psyche), Fischer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-596-42005-9, S. 79–84
  6. Helmer Ringgren: Apokalyptik II. Jüdische Apokalyptik. In: RGG. 3. Auflage. Band 1, Spalte 464-466. Tübingen.
  7. Delling: ThWNT. Band IV, 303.
  8. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik. Band II/1, S. 50, 55.

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